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Eckernförde, Natascha Wodin

Der Arbeitskreis Eckernförder - Schleswig - Flensburg führte am 18.03.2015 einen Literaturabend mit der Schriftstellerin und Übersetzerin Natascha Wodin durch. Die Lesung aus ihrem jüngsten, noch nicht veröffentlichten Buch "Ich war nie in Mariupol" fand mit Unterstützung der Stadt Eckernförde und in Zusammenarbeit mit der Stadtbücherei Eckernförde statt.

In den regionalen Zeitschriften wurde diese Veranstaltung kommentiert:

Ein Volltreffer für "LesArt"
Eckernförde Russisches Gebäck, frischer Tee aus dem Samowar - das war ein schöner, eher ungewöhnlicher Empfang in der Stadtbücherei. Aber auch das Programm des Abends war nicht alltäglich: Die Deutsche Dostojewskij-Gesellschaft und die Bücherei hatten zu einem Literatur-Abend mit Natascha Wodin eingeladen, einer Schriftstellerin und Übersetzerin, die jetzt in Berlin lebt.
Zunächst stellte Larissa Dyck von der Dostojewskij-Gesellschaft den Special Guest der LesArt vor, Natascha Wodin. Sie wurde 1945 in Bayern geboren, war Kind einer russisch-ukrainischen Familie und wuchs in deutschen Nachkriegslagern für "displaced people" auf. Obwohl sie nach eigenen Worten "nie richtig" zur Schule ging und auch keinen Schulabschluss hat, wurde sie dank ihrer Zweisprachigkeit zunächst Dolmetscherin, übersetzte später russische Literatur und begann schließlich selber zu schreiben.
Im ersten Teil des Abends las sie aus einem von ihr übersetzten Buch vor, aus Pawel Sanajews "Begrabt mich hinter der Fußleiste". Nahe an einer Autobiografie beschreibt sich Sanajew dort als achtjährigen Jungen, der vier Jahre bei seiner Großmutter leben muss. Das war wohl eine große Hassliebe, die seine despotische Oma über ihn ausschüttete, Flüche und Schimpfe ohne Ende, sehr grob und nur versteckt liebevoll. Streckenweise in verteilten Rollen vorgelesen, war der Text den Zuhörern zu beliebigen Reaktion frei gegeben: Zwischen Grusel und Weglachen war wohl alles drin. Tröstlich zu hören, dass der Junge "Sascha" wohl alles lebendig überstand.
Der zweite Teil des Abends gehörte dann ganz Natascha Wodins neuem Buch mit dem Titel "Ich war nie in Mariupol". Diese Lebensgeschichte ihrer Mutter ist noch nicht zu Ende geschrieben, und sie bemerkte: "Es ist das erste Mal, dass ich aus einem Text ohne fertiges Buch vorlese." Die Mutter starb durch Selbstmord, als Natascha Wodin zehn Jahre alt war, ihre Schwester sechs, der Vater unzugänglich und versteinert. Von ihrer Mutter wusste sie zu dem Zeitpunkt nichts. Sie versuchte über das Internet Spuren zu finden, knüpfte Verbindungen, stieß auf immer Neues. In jahrelanger Kleinarbeit fügte sich schließlich ein Mosaiksteinchen ans andere. Das fast fertige Puzzle zeigt bereits ein klares Bild. Auf die Frage, ob das entstehende Buch eine reine Biografie über den Lebensweg der Mutter werde, war die Antwort weit gefasst: "Manchmal geht die Fantasie auch mit mir durch, und der Text entwickelt beim Schreiben eine Eigendynamik, der ich folgen muss." Außerdem gibt es vieles in ihrer "Dunkelkammer", das erst noch entwickelt werden will.
Natascha Wodin strahlt Ruhe aus. Ihre Lesung berührte. Ein lebhaftes Gespräch zwischen der Schriftstellerin und den zahlreichen Gästen schloss sich an.

Eckernförder Zeitung vom 21.03.15; Sylvia Meisner-Zimmermann